Gewaltfreie Kommunikation wurde in den 1960ern von Marshall B. Rosenberg , einem amerikanischen Psychologen, entwickelt und ermöglicht es Menschen durch 4 einfache Schritte vertrauensstiftend miteinander zu kommunizieren. Es ist oft auch als „Einfühlsame Kommunikation“, „Verbindende Kommunikation“, „Sprache des Herzens“ oder „Giraffensprache“ bekannt geworden. Das leicht zu erlernende Konzept ist sehr flexibel im persönlichen, beruflichen oder politischen Bereich einsetzbar.
Giraffen werden als Symboltier für GFK genutzt. Der lange Hals symbolisiert Weitsicht, ihr grosses Herz (übrigens das grösste aller Landsäugetiere!) Mitgefühl. Da Giraffen in kleinen Herden zusammen leben, ist auch dieser Aspekt für den Menschen als Zoon Politikon von Bedeutung.
Grundmodell der GFK
Die vier Schritte der GFK sind Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte.
Ein perfekter Aussagesatz als GfK sieht so aus:
„Wenn ich a sehe,
dann fühle ich b,
weil ich c brauche.
Deshalb möchte ich jetzt gerne d.“
(a … Beobachtung; b … Gefühl; c … Bedürfnis; d … Bitte)
Dieses einfache Formulierungsmuster hilft, eine Verbindung zu den jeweiligen Gegenübers aufzubauen zu können und eine Beziehung auf Augenhöhe zu gestalten.
- Beobachtung bedeutet, eine konkrete Handlung oder Unterlassung zu beschreiben, ohne sie mit einer Bewertung oder Interpretation zu vermischen. Es geht hierbei darum, nicht zu bewerten, sondern die Bewertung von der Beobachtung zu trennen, so dass das Gegenüber Klarheit erhält, worauf man sich bezieht.
- Die Beobachtung löst ein oder mehrere Gefühle aus, das oft auch körperlich wahrnehmbar ist und mit mehreren oder einem …
- Bedürfnis in Verbindung steht. Damit sind allgemeine Qualitäten gemeint, die vermutlich jeder Mensch auf Erden gerne in seinem Leben hätte, wie zum Beispiel Sicherheit, Verständnis, Kontakt oder Sinn. Gefühle sind laut GFK eine Art Indikator bzw. Ausdruck dessen, ob ein Bedürfnis gerade erfüllt ist oder nicht. Für den einfühlsamen Kontakt sind Bedürfnisse sehr wichtig, da sie den Weg zu einer kreativen Lösung weisen, die für alle Beteiligten passt.
- Aus dem Bedürfnis geht schließlich eine Bitte um eine konkrete Handlung im Hier und Jetzt hervor. Um sie möglichst erfüllbar zu machen, lassen sich Bitten und Wünsche unterscheiden: Bitten beziehen sich auf Handlungen im Jetzt, Wünsche dagegen sind vager, beziehen sich auf Zustände („sei respektvoll“) oder auf Ereignisse in der Zukunft. Erstere sind leichter zu erfüllen, haben deshalb auch mehr Chancen auf Erfolg. Rosenberg schlägt außerdem vor, Bitten in einer „positiven Handlungssprache“ zu formulieren – d. h. zu sagen, was man will, statt was man nicht will. Man kann unterscheiden zwischen einer Handlungsbitte (beispielsweise darum, die Geschirrspülmaschine auszuräumen) und einer Beziehungsbitte (beispielsweise um eine Beschreibung der eigenen Empfindungen).
Geschichte und Verbreitung
Rosenberg hat an der University of Wisconsin–Madison in klinischer Psychologe promoviert und ist durch seine Erfolge zur Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung bei der Aufhebung der Rassentrennung auf friedvollem Wege bekannt geworden. Dieses Wissen hat er Zeit seines Lebens durch weltweite Trainingskurse weitergegeben, gerade auch in Krisengebieten und ökonomisch benachteiligten Regionen wie Palästina, Serbien und Ruanda.
1994 haben serbische Pädagog*innen und Psycholog*innen – unterstützt von UNICEF – ein dreibändiges Werk zum Erlernen Gewaltfreier Kommunikation nach Rosenbergs Methode für Kindergärten und Schulen herausgegeben. Rosenberg hat auch ein speziell auf Kinder zugeschnittenes Konzept des Lernens der GFK entwickelt.
Das Konzept der GFK kann in vielen Bereichen verwendet werden, in denen sich Menschen begegnen und kooperieren sollen: in Bildungseinrichtungen, Organisationen, Institutionen ebenso wie in privaten Beziehungen.
Theoretischer Hintergrund
Die GFK steht in der Tradition der klientenzentrierten Psychotherapie, die Rosenbergs Lehrer Carl Rogers entwickelte. Das aktive Zuhören steht bei Rogers im Mittelpunkt, die GFK geht jedoch über den gesprächstherapeutischen Rahmen hinaus. Beeinflusst ist die GFK auch von Mahatma Gandhi und seinen Überlegungen zur Gewaltfreiheit, Ahimsa genannt, die auf den Upanishaden basieren. Viele Elemente der GFK finden sich auch in anderen Konfliktlösungstechniken, wie im Gütekraft-Konzept von Martin Arnold, der Mediation und den Win-Win-Strategien.
Grundannahmen
Empathie ist nach Rosenberg eine Grundvoraussetzung gelingender Kommunikation. Er geht davon aus, dass die Form, in der Menschen miteinander kommunizieren, einen entscheidenden Einfluss darauf hat, ob sie Empathie für ihr Gegenüber entwickeln und ihre Bedürfnisse erfüllen können. Außerdem nimmt er an, dass Menschen unter freien Bedingungen die empathische Verbindung zum Mitmenschen suchen. Die GFK soll helfen, sich ehrlich und klar auszudrücken und empathisch zuzuhören. Sie ist auf die Bedürfnisse und Gefühle gerichtet, die hinter Handlungen und Konflikten stehen. Sie ist weniger als eine Kommunikations-Technik zu betrachten, sondern mehr als eine Bewusstwerdung über Möglichkeiten des empathischen Kontaktes. Dabei ist es prinzipiell nicht nötig, dass beide Kommunikationspartner GFK anwenden – auch wenn es, gerade für Anfänger oder in privaten menschlichen Beziehungen, sehr hilfreich ist, wenn beide wissen, wie viel Potenzial in der einfühlsamen Verbindung steckt. In der GFK ist die Empathie unter zwei Gesichtspunkten bedeutsam. Neben der Einfühlung in eine andere Person ist auch die Selbstempathie wichtig, um Klarheit in einer Situation zu erhalten und damit zu ermöglichen, Strategien zu finden, die der Bedürfniserfüllung auf allen Seiten dienen.[3][4]
Rosenberg nimmt an, dass jeder Mensch gern bereit sei, etwas für einen anderen Menschen zu tun, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind (z. B. die Anfrage als Bitte formuliert ist und nicht als Forderung, er nicht den Eindruck hat, dadurch eine Pflicht abzuarbeiten oder den anderen in eine Pflicht zu setzen und so weiter). Dieses Menschenbild geht auf die der humanistischen Psychologie entlehnte Haltung zurück, in einer schädigenden Aktion eines Individuums nicht den Ausdruck des inneren Wesens zu sehen, sondern die „fehlgeleitete“ Strategie eines eigentlich lebensdienlichen Impulses. Rosenberg bezieht sich besonders auf Carl Rogers. So nennt Rosenberg jede Form von Gewalt einen tragischen Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses.
Annahmen zur Konfliktentstehung
Rosenberg nennt mehrere Auslöser, die zu Konflikten führen können[:
- Statische Sprache: Laut Wendell Johnson entstehen viele Probleme beim Versuch, die sich ständig wandelnde Welt mit einer statischen Sprache zu beschreiben. Rosenberg empfiehlt stattdessen eine prozessorientierte Sprache. Beobachtungen sollten „konkret bezogen auf die Zeit und den Handlungszusammenhang“ formuliert werden
- Verknüpfung von objektiver Beobachtung mit subjektiver Bewertung: Er trete nicht dafür ein, objektiv zu bleiben, sondern objektiv prüfbare Beobachtungen und subjektive Bewertungen zu trennen.
- Er schließe sich damit J. Krishnamurti an, nach dem die Fähigkeit, ohne Bewertung zu beobachten, die höchste Form menschlicher Intelligenz sei.
- Kritik anstatt Wünschen: „Und wenn Menschen etwas hören, das […] nach Kritik klingt, dann neigen sie dazu, ihre Energie in die Verteidigung oder in einen Gegenangriff zu stecken.“ Dadurch sinkt die Bereitschaft, auf eine Bitte empathisch einzugehen.
Lebensentfremdende Kommunikation
Unter lebensentfremdender Kommunikation versteht Rosenberg Formen der Kommunikation, die Verbindungen zwischen Menschen blockieren und zu psychischer oder physischer Gewalt beitragen können. Lebensentfremdende Kommunikation sei gekennzeichnet durch folgende Eigenschaften:
- Das (moralische) Urteilen über den Kommunikationspartner. Dazu gehört das Zuschreiben von Eigenschaften an die Person (z. B. „gut/böse“, „gerecht/ungerecht“, „gesund/krank“), auch wenn es implizit als Vermischung von Beobachtung und Bewertung geschieht. Eine Form der impliziten Verurteilung können als Gefühle dargestellte Bewertungen sein, zum Beispiel „ich fühle mich provoziert“. Hier wird der Kommunikationspartner indirekt als Provokateur bezeichnet. Wichtig ist, dass in der GFK Bewertungen nicht abgelehnt werden (ein häufiges Missverständnis). Es wird vielmehr als hilfreich angesehen, Handlungen anderer zwar zu bewerten, aber mit Bezug auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse und nicht mit Bezug auf moralische Kategorien.
- Das Anstellen von Vergleichen: Dies ist nach Marshall Rosenberg eine weitere Form von Verurteilung.
- Das Leugnen der Verantwortung für eigene Gefühle und Handlungen, wie zum Beispiel in „Ich fühle mich so, weil du mich mies behandelst.“ Oder: „Ich musste das tun, der Chef hat’s angeordnet.“
- Das Stellen von Forderungen anstatt von Bitten. Der Unterschied zwischen Bitte und Forderung liegt in der Konsequenz dessen, was passiert, wenn das Gegenüber das Ansinnen ablehnt.[ Im Falle einer Ablehnung erlaubt die Bitte beim Gegenüber eine flexible Suche nach anderen Möglichkeiten des Entgegenkommens. Bei einer Forderung hingegen drohen Sanktionen. Dies muss nicht immer in Form von offensichtlichen Strafen geschehen, möglich ist auch die Erzeugung von Angst oder Schuldgefühlen beim Gegenüber (z. B. durch Schweigen oder Vorwürfe).
Um das Problem nicht fortzusetzen, wäre der Anspruch aus der Gewaltfreien Kommunikation, einen Menschen, der sich „lebensentfremdender Kommunikation“ bedient, nicht moralisch zu verurteilen. Auch hinter dieser Form der Kommunikation stehen unerfüllte Bedürfnisse, deren Wahrnehmung allerdings schwieriger sein kann.
Auch als Haltung für das empathische Zuhören empfiehlt Rosenberg, aus dem, was der andere sagt, diese vier Informationen herauszufiltern, da sie in der Regel das Herz der Botschaft darstellen. Zur Überprüfung, ob seine Deutung stimmt, kann der Zuhörende anbieten, was er in Form der vier Schritte hört („Fühlst du …, weil dir … wichtig ist?“). Das kann auch hilfreich sein, wenn der Sprecher durch dieses Spiegeln selber mehr Klarheit darüber gewinnt, was er eigentlich ausdrücken will. Das ausgesprochene und stille empathische Zuhören ist ein wesentlicher Aspekt der Anwendung von GFK.
Das formale Grundmodell ist nach Rosenberg eine Art Übergangshilfe für die Schulung der Aufmerksamkeit, nicht jedoch ein Ersatz für die Alltagssprache. Man braucht in der Regel erhebliche Übung, bis die GFK in der Alltagssprache zu einer flüssigen Kommunikation wird.
Wenn eine Problemlösung im Gespräch nicht möglich ist und zur Setzung von Grenzen führt, spricht Rosenberg von der schützenden Anwendung von Macht, die er von der strafenden Anwendung unterscheidet. Während letztere den Fokus hat, menschliches Verhalten auf Basis von Selbsthass zu ändern, geht es bei ersterer darum, weitere Verletzungen zu verhindern und für Schutz zu sorgen, aus dem heraus überhaupt erst wieder die Bereitschaft entstehen kann, erneut in Kontakt zu treten.