Den Begriff „Autismus“ wurde erstmals vom 1943 vom Kinderpsychiater Leo Kanner verwendet. Das von ihm damals beschriebene Krankheitsbild ist heute als frühkindlicher Autismus oder Kanner-Syndrom bekannt. Diese Störung wird – je nach Aufmerksamkeit und systemischer Eigendynamik des sozialen Umfelds – meist vor dem 3. Lebensjahr auffällig. Kanner leitete den Begriff aus dem Griechischen her: autos = selbst und ismos = Zustand bzw. Orientierung bezeichnen damit einen neurodiversen, für das Umfeld als „falsch“ empfundene Selbstwahrnehmung der autistischen Personen.
Stressspirale durch das soziale Umfeld
Autistisches Verhalten wird zu den sogenannten Entwicklungsstörungen gezählt und zeichnet sich u.a. durch ein reduziertes Interesse an sozialen Kontakten sowie einem reduzierten Verständnis sozialer Situationen aus. Je älter wir werden, desto und anspruchsvoller sind die Erwartungen, die unsere Umwelt an uns stellt.
Autist*innen befinden sich also in einer zunehmenden Spirale von Erwartungshaltungen ihres Umfelds, die sie entweder gar nicht, nur mit grossem Kraftaufwand oder auch mit sehr eigenwillgen Ausweichmanövern kompensieren.
Erschwerte Kommunikation durch Sprache
Oftmals finden sich bei Autisten auch sprachliche Besonderheiten und Einschränkungen. Die Sprachentwicklung, vor allem die pragmatischen Anwendung von Sprache, ist verzögert oder gehemmt. Es fällt den Betroffenen also doppelt schwer, sich ihrer Umwelt gegenüber verständlich zu machen.
Atypischer Autismus und Asperger-Syndrom
Der österreichische Kinderarzt Hans Asperger dokumentierte ebenfalls Mitte der 40er Jahre eine leichter ausgeprägte Form des Autismus, bei der das Sprachvermögen weniger beeinträchtigt ist, das so genannte Asperger-Syndrom. Neben diesen beiden Erscheinungsformen ist auch der atypische Autismus relativ häufig, der durch Einschränkungen in zwei der drei zentralen Bereiche soziale Interaktion, Kommunikation oder stereotypes Verhalten gekennzeichnet ist. Er kann variabel mit oder ohne Sprachentwicklungsverzögerung vorkommen.
Therapieansätze
Das Spektrum dieser Störungen ist natürlich nicht ursächlich behandelbar, da die Auslöser in der Vergangenheit liegen. Gezielte Therapie kann jedoch vieles verändern:
- Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion kann reduziert werden
- dKommunikationsfertigkeiten kann deutlich gesteigert
- stereotype Verhaltensweisen können aufgelöst und durch neues, variantenreiches Verhalten ersetzt werden
- psychische Begleiterkrankungen, so genannte(komorbide psychische Störungen, können dann auch relativ gut behandelt werden.
Viele meiner Klient*innen haben autistische Anteile, so dass ich eine ganze Palette von Kommunikationsübungen auch für ihre spezifischen Bedürfnisse adaptiert habe.
Häufigkeit von Autismus
Wurde früher eine Vorkommenshäufigkeit (Prävalenz) des Autismus von 4 bis 5 auf 10.000 Kindern angenommen, sprechen neuere Untersuchungen von einer Häufigkeit aller Autismus-Spektrum-Störungen von ca. 1% im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. Am häufigsten ist dabei der atypische Autismus gefolgt von frühkindlichem Autismus und dann dem Asperger Syndrom. Ausschlaggebend für den Anstieg in der Vorkommenshäufigkeit ist nur zu einem sehr kleinen Teil eine echte Zunahme der Erkrankungen. Vielmehr sind anscheinend die intellektuell besser begabten Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen früher übersehen worden, also jene ohne das gleichzeitige bestehende Handicap einer geistigen Behinderung. Dafür sprechen auch die Angaben, dass aktuell etwa ein Viertel bis zur Hälfte der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen als geistig behindert gilt, gegenüber früheren Angaben von Dreiviertel und mehr. Jungen bzw. Männer sind von autistischen Störungen drei- bis viermal häufiger betroffen als Mädchen bzw. Frauen. Die Krankheit tritt weltweit in allen sozialen Schichten auf.
Medizinische Hintergründe
In der neu herausgegebenen Version des DSM, der DSM-5 (Mai 2013) werden die o.g. Autismus-Spektrum-Störungen in eine Kategorie mit unterschiedlichen Schweregraden zusammengefasst. Dies reflektiert Befunde aus der Forschung zu Phänotypen, aber auch aus genetischen Studien, dass die zugrunde liegende Störungsursache (Ätiologie) sowie die Symptomausprägung nicht die bisherigen diagnostischen Grenzen einhält, sondern eher fließende Übergänge sowie eine überlappende Ätiologie anzunehmen sind.
Bei Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung sollten Eltern unbedingt zu einem Kinder- und Jugendpsychiater gehen. Kinder- und Jugendpsychiater kennen die zentralen Differentialdiagnosen, wie z.B. Angst– und Zwangsstörungen, geistige Behinderung ohne Autismus, Störungen des Sozialverhaltens oder ADHS. Sie können auch komorbide psychische Störungen, wie z.B. depressive Episoden, erkennen und gezielt behandeln. Je früher die Krankheit entdeckt wird, desto eher kann der Betroffene individuell behandelt und gefördert werden.