Selbstwirksamkeit

Das psychologische Phänomen der Selbstwirksamkeit (engl. Self-efficacy) und der damit verbundenen Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) ist eine der wichtigsten Säulen moderner Pädagogik und Therapieansätze. Das Konzept wurde in den 1970er-Jahren von dem kanadischen Psychologen Albert Bandura entwickelt. Die Grundidee findet sich aber auch schon in den pädagogischen Konzepten von Maria Montessori oder der Reformpädagogik.

Selbstwirksamkeit ist nicht gleich Selbstbewusstsein

Die Gegenspieler zur SWE sind alle Formen destruktiver Selbstzweifels, die uns daran hindern, unser volles Potential zu entfalten.
Viele Menschen benutzen in der Umgangssprache fälschlicherweise den Begriff „Selbstbewusstsein“ statt Selbstwirksamkeit. Dies hat mit einigen Redewendungen zu tun: „Sie/er tritt selbstbewusst auf“ umfasst die Idee einer aktiven, entschlossen handelnden Person. Dabei kann ja auch eine schüchterne, zurückhaltende Person sich ja auch ihrer selbst sehr bewusst sein. Der genaue Blick auf Sprache macht diesen wichtigen Unterschied deutlich.

Die eigene Wirkung auf die Welt

Selbstwirksamkeit umfasst die – mehr oder weniger realistische – Erwartung einer Person, aufgrund eigener bewusster und unbewusster Kompetenzen erwünschte Handlungen möglichst eigenständig ausführen zu können und diese mit Erfolg zu beenden.
Anders gesagt: Ein Mensch, der daran glaubt, selbst etwas bewirken zu können und auch in schwierigen Situationen selbstständig handeln zu können, hat eine hohe SWE.

Selbstwirksamkeit wird auch durch gemeinsame Aktivität gestärkt


Dadurch verändert sich die Sicht auf die Welt auf radikale Art und Weise!

Sie/er wird also sehr oft entsprechend handeln und hat größere Chance, Einfluss zu nehmen und im eigenen Interesse zu handeln.
Menschen mit hoher SWE nehmen also an, das sie selbst und andere als Person gezielt Einfluss auf die Dinge und die Welt nehmen können. Ihr Handeln hat größeren Einfluss als äußere Umstände, andere Personen, Zufall, Glück und andere unkontrollierbare Faktoren. Ganz pointiert wird das im Wahlkampfslogan „Yes we can“ deutlich, der Barack Obama als ersten schwarzen Präsidenten der USA ins Amt brachte.

Psychologische Hintergründe

Manche Psycholog*innen meinen, dass Selbstwirksamkeitserwartung ein natürliches Bedürfnis des Menschen sei. In der Forschung wird zwischen einer generalisierten und vielen verschiedenen handlungsspezifischen SWE unterschieden. (etwa mit dem Rauchen aufzuhören oder vor einer Menschenmenge frei sprechen zu können).

Selbstwirksamkeit hat sogar gesundheitlich Auswirkungen. Untersuchungen zeigen, dass Personen mit einem starken Glauben an die eigene Kompetenz eine größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben, eine niedrigere Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen.

Positive und negative Verstärkerkreise

SWE und die Ergebnisse einer Handlung wirken oft zirkulär selbstverstärkend. Beim „High Performance Cycle“ führt eine hohe SWE zunächst zu hohen Ansprüchen an die eigene Person. Dadurch werden oft eher anspruchsvolle, schwierige Herausforderungen sucht, da ein zu einfaches Ziel uninteressant und langweilig erscheint. Die Bewältigung dieser wirklichen Herausforderungen führt wiederum zur positiven Bestätigung und Erhöhung der eigenen SWE.

Leider kann auch Hilflosigkeit trainiert werden


Umgekehrt verhindert eine tief verankerte Erwartung, mit großer Wahrscheinlichkeit zu versagen dazu, dass gar kein Wagnis mehr eingegangen wird. Also mangelt es auch an eigentlich adäquaten Herausforderungen und den entsprechenden möglichen Belohnungen. Die Spirale nach unten setzt sich fort. Im schlimmsten Fall führt dieser Effekt zur einem depressiven Verhalten, das als „erlernte Hilflosigkeit“ bekannt ist. Hier liegt eine klinische Depression auf der reinen Verhaltensebene vor, ohne dass parallel eine Stoffwechselstörung diagnostizierbar ist. In solchen Fällen sind verschiedene Formen der Psychotherapie wie Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch Gesprächstherapie sehr hilfreich.

Quellen der Selbstwirksamkeitserwartung

Im Rahmen seiner sozialkognitive Lerntheorie ging Bandura in den 1970er von vier verschiedenen Quellen aus, die die SWE einer Person beeinflussen können.

Eigene Erfolgserlebnisse

Erfolg bei der Bewältigung einer schwierigen Situation stärkt den Glauben an die eigenen Fähigkeiten (s.o. bei den Verstärkerkreisen). Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung zeigten trotz einzelner Rückschläge auch eine höhere Frustrationstoleranz, werden also weniger leicht durch Hindernisse aus der Bahn geworfen.

Stellvertretende Erfahrung

Der Vergleich mit anderen Personen in unserem Umfeld dient für viele Menschen auch zur Vergewisserung und Überprüfung der eigenen Fähigkeiten. Erleben wir andere Menschen mit Fähigkeiten, die den unseren gleichen, die eine Aufgabe erfolgreich meistern, trauen wir sie uns auch selbst eher zu. Ein Misserfolg sichtbarer solcher Personen kann uns demotivieren. Hier sind die Effekte aus den von uns gewählten Peergroups sehr wichtig. Dabei gilt als Daumenregel: Je größer unsere Ähnlichkeit zur beobachteten Person, desto stärker die Beeinflussung durch das Vorbild.

Verbale Ermutigung & Feedback

Menschen, denen gut zugeredet wird und denen von anderen glaubhaft zugetraut wird, bestimmte Situationen und Herausforderungen meistern zu können, strengen sich eher an. Sie glauben mehr an sich, als wenn andere an ihren Fähigkeiten zweifelten.
Dabei ist die Glaubwürdigkeit des Feedbacks und der Ermutigung sehr wichtig. Es wäre eher kontraproduktiv, andere unrealistisch zu fordern würde bei wiederholtem Misserfolg langfristig eher demotivieren. Daher ist die Vertrauensarbeit so entscheidend.
Dies ist vor allem in unserer Kindheit wichtig. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern sowie Lehrer*innen und Schüler*innen, bei denen zugleich durch das implizite Machtgefälle eine hohe Abhängigkeit möglich ist, stellt oft Weichen für unser gesamtes Leben.

Emotionale Erregung

Unsere Gefühlswelt und die damit verbundenen physiologischen Reaktionen auf neue Anforderungssituation dienen oft als Grundlage der eigenen Situations- und Selbstwirksamkeitsbewertung. Herzklopfen, Schweißausbrüche, Händezittern, Frösteln, Übelkeit oft mit emotionalen Reaktionen wie Anspannung oder Angst einher. Diese Anzeichen lassen sich leicht als Schwäche interpretieren und Selbstzweifel aufkommen. Ein Abbau von Stressreaktionen z.B. durch Meditationstechniken kann uns helfen, entspannter an Herausforderungen heranzugehen und sie so besser zu meistern.

Genetische Ursachen

Gleichzeitig Entgegen den Annahmen der sozialkognitiven Lerntheorie zeigen neueste Ergebnisse von Zwillingsstudien, dass die SWE zu einem großen Teil genetisch bedingt ist. So untersuchte die Zwillingsstudie von Trine Waaktaar & Svenn Torgersen aus dem Jahre 2013 die Erblichkeit von SWE bei Heranwachsenden anhand der Auskünfte von Müttern, Vätern und der Kinder in über 1.300 Familien mit über 2.600 Zwillingen.
Es zeigte sich, dass Unterschiede in dem zugrunde liegenden Faktor der SWE zu 75 % durch genetische Faktoren erklärbar sind.

Auswirkung auf die Gesundheit

Menschen mit Selbstzweifeln haben tendenziell stärkeren Stress und neigen eher zu Depressionen, können sich schlechter motivieren und weniger gut negative Emotionen kontrollieren.

Beziehungsgestaltung

Auch unsere Fähigkeit, Beziehungen einzugehen hat mit unserer SWE zu tun. Erleben wir uns als selbstwirksam, werden wir auch Beziehungen eingehen, die uns herausfordern. Erleben wir uns prinzipiell eher als einfluss- und hilflos, ist die Chance groß, dass wir uns in eigentlich defizitäre oder sogar toxische Beziehungen flüchten. Diese Beziehungen erfüllen die gesellschaftlichen Erwartung – die mitunter als großßer Druck erlebt wird – eine*n Partner*in zu haben.
Da solche Beziehungen sehr wenig Entwicklungsmöglichkeiten bieten, scheitern sie oft.
Gefährlcih wird es vor allem dann, wenn schon Kinder in solche Beziehungen hineingeboren werden, oft auch wieder unter dem gesellschaftlichen Erwartungsdruck. Hier sind die Chancen groß, dass die geringe SWE auch in die nächste Generation als Verhaltensmuster weitergereicht wird.

Bedeutung der Entwicklungsphasen

Je nach den Lebensumständen und den unterschiedlichen Einflüssen entwickelt sich Selbstwirksamkeit in verschiedenen Lebensstadien bei jedem Individuum unterschiedlich

Frühe Entwicklung – Babys

Neugeborene sind sich noch nicht selbst als eigenständige Person bewusst. Sie lernen erst nach und nach, Und diese sie ein von anderen abgegrenztes Einzelwesen sind, dass über Erfahrungen verfügt, die die Umwelt nicht unbedingt teilt.
Nach und nach erleben sie, wie ihre Handlungen bestimmte Folgen und Reaktionen hervorrufen. Sehr bedeutsam ist die Fülle an Erfahrungen, das mehr oder minder lautes Lautgeben vom Glucksen bis hin zum Schreien Erwachsene herbei rufen kann!
Und weil diese im besten Fall wirksame Gegenmittel gegen Hunger, fehlenden Körperkontakt und vor allem soziale Interaktion mitbringen sind das unglaublich beglückende Momente. In vielen hunderten solcher Interaktionen werden also die Grundlagen für unsere spätere Selbstwirksamkeit gelegt.
Später produziert zum Beispiel das Schütteln einer Rassel oder Klopfen mit einem Löffel Geräusche die von der Umwelt mehr oder weniger belohnt werden. Das Schieben von Gegenständen über eine Tischkante hinaus sorgt für durchaus filmreife Szenen, die eindeutig interessanter sind als sich mit dem immer gleichen Speiseangebot zu langweilen.

Kindheit

Die Familie, in der Kinder größtenteils ihre physischen, kognitiven, sozialen und linguistischen Fähigkeiten erlernen und ausbauen, die häusliche Umgebung, auch Lernmaterialien und Geschwisterkonstellationen sind äußerst wichtig. Kinder vergleichen sich in diesem Umfeld zum ersten Mal mit anderen Menschen, d. h. mit Eltern und Geschwistern.

Peers

Ein nächster Schritt ist, Peers zu begegnen: Erstmals kann man im Vergleich mit Gleichaltrigen die eigenen Fähigkeiten bewerten. Schon hier haben Kinder mit einer niedrigen Selbstwirksamkeitserwartung Probleme, sich anderen Kindern anzuschließen. In der Schule erweitern sie ihre kognitiven Kompetenzen und erwerben Wissen und Problemlösungsfertigkeiten.

Jugend und Pubertät

Später konfrontiert die Entwicklung Jugendliche mit Veränderungen wie Pubertät und Berufswahl. Wie leicht oder schwer man das nimmt, hängt von der vorher aufgebauten Selbstwirksamkeit ab. Führt diese Phase zur positiven Wahrnehmung der nunmehr erweiterten Kontrollmöglichkeiten in immer neuen Situationen, steigert dies die SWE. Finden die Jugendlichen jedoch keine Selbstbestätigung oder erleben sie sich selbst sogar als machtlos, verhindert das den Aufbau einer positiven SWE. In diesem Zusammenhang kommt es in der Gesellschaft gerade durch Jugendbewegungen zu wichtigen Veränderungsprozessen: ganz aktuell ist die Wirkung der Fridays4Future zu beobachten, die die Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe stärker beeinflussen konnte, als dies durch die seit Jahrzehnten bekannten Warnungen der Wissenschaft möglich war.

Schule und Berufswahl

Die SWE hat einen entscheidenden Einfluss auf die Berufswahl von Menschen. Die niedrige Repräsentation von Frauen in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) lässt sich auch auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Selbstwirksamkeitserwartung zurückführen lässt.

Insbesondere zeigen Studien, dass die SWE in Mathematik ein stärkerer Prädiktor für das Interesse an Mathematik, die Wahl von Veranstaltungen mit Mathematikbezug sowie die Wahl eines Abschlusses in Mathematik ist, als bisherige Leistungen in Mathematik oder das erwartete Ergebnis in den entsprechenden Kursen. Im Bereich der Programmierausbildung wurde gezeigt, dass die SWE einen größeren Einfluss auf erreichte Leistung hat als beispielsweise das Geschlecht der Kursteilnehmer.

Alter

Im Alter sinkt die körperliche Leistungsfähigkeit und jeder muss mit neuen Veränderungen wie Rente oder Verlust von Freunden, Partnern und/oder körperlicher Leistungsfähigkeit bzw. Unversehrtheit zurechtkommen. Auch beim Bewältigen dieser Veränderungen spielt die individuelle Selbstwirksamkeitserwartung eine entscheidende Rolle.

Gesellschaftliche Teilhabe – Politik

Die SWE hat natürlich auch einen großen Einfluss auf unser soziales Umfeld, ob wir uns gesellschaftlich engagieren, ggf. sogar politisch tätig werden.
Menschen, die sich als unbedeutende Rädchen in übermächtigen staatlichen Bürokratien erleben, erleben immer wieder Momente von Ohnmacht. In einem quasi pubertären. Aufbegehren kann dies plötzlich zu einem destruktiven Engagement in Protestbewegungen führen. Ganz aktuell ist diese Tendenz bei frustrierten Wutbüger*innen sichtbar, die sich bei rassistischen Bewegungen wie Pegida, der AfD oder ganz aktuell bei den Coronaleugner*innen engagieren.
Hier erleben einige erstmals das Gefühl von Sichtbarkeit und Wirksamkeit. Der Zusammenhalt, der in Gruppen mit einem gemeinsamen äußeren Feind noch verstärkt wird, befeuert eine neue, leider sehr schief hängende SWE.

Ein äußerer „Feind“ verstärkt die Neigung, sich auch mit anderen Menschen, deren Meinungen man eigentlich nicht teilt, dennoch zusammenzuschließen. Dieser Umstand wird durch die Führungspersonen solcher Bewegungen genutzt, indem Feindbilder produziert bzw. befeuert werden.

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Bleiben Sie gesund, halten Sie Abstand, tragen Sie Masken !